Sind das abgedroschene Fragen, die heute keinen mehr interessieren? Vermutlich interessiert sich die Mehrheit heute nicht mehr für solche Probleme. Sie haben damit abgeschlossen. Viele treue Katholiken ignorieren diese Fragestellungen, weil sie Angst haben, ihren Ort des Glaubens zu verlieren. Sie müssten ansonsten vielleicht - wären sie konsequent - ihrer Überzeugung folgen und aus Kirche austreten.
Ein großes Problem ist das Verständnis des Begriffes Wahrheit, den die Kirche vertritt. Im 13. Jahrhundert kamen die Schriften der griechischen Philosophen, unter anderem von Platon und Aristoteles über die muslimischen (!) Araber nach Europa. Thomas von Aquin griff Aristoteles, der eine der beiden philosophischen Hauptrichtungen vertrat auf und baute eine "katholische" Theologie, die sich, böse und vereinfachend gesagt, anmaßte, Gott zu erkennen und damit die "Wahrheit mit dem Löffel gefressen zu haben". Diese Ansichten haben wohl - wenn auch von Thomas von Aquin nicht so beabsichtigt - vielfach den Dialog zwischen den Kirchengelehrten gestoppt und zunehmend den Papst als Geber der Wahrheit manifestiert. Damit verlor auch zunehmend das Evangelium mit seinen "verschwommenen" und unklaren Aussagen an Gewicht im Glauben der Kirche. Toleranz gegenüber Andersdenkenden und vor allem auch gegenüber anderen Religionen gab es bald schlichtweg nicht mehr. Den größten Aufschrei in der Geschichte gegen diese Auswüchse machte Luther im 16. Jahrhundert. Einen kleineren Aufschrei machte die katholische Kirche selbst vor gut 40 Jahren mit dem 2. Vatikanischen Konzil, das allerdings viele der erhofften Reformen nicht brachte.
Schauen wir uns das Wahrheitsproblem an am Beispiel der Frage "Warum dürfen katholische Menschen, die einmal geschieden sind und wieder heiraten, nicht zur Kommunion?". Die Ehe ist nach katholischer Lehre untrennbar bis zum Tod eines der beiden Partner. Geschlechtsverkehr vor, nach und außerhalb der Ehe ist nicht erlaubt. Wenn eine Ehe in Brüche geht, kann das auch aus Sicht der katholischen Kirche durchaus für einen Partner unverschuldet passieren. Er kann die Ehe weiterbestehen lassen und zukünftig alleine leben und damit gegen die Untrennlichkeit der Ehe noch nicht verstoßen. Allerdings macht er nach Sicht der Kirche faktisch (nachweisbar, "objektiv" laut einem Schreiben des Kardinals Ratzinger 1994 an die Bischöfe) einen Ehebruch, wenn er standesamtlich wieder heiratet. Diese Menschen werden von der Kirche "Wiederverheiratete geschiedene Gläubige" genannt. Sie leben laut dem Wahrheitsverständnis der Kirche in einer Dauersünde, weil sie "objektiv" durch den Status des Wiederverheitratetseins sozusagen täglich erneut Ehebruch begehen. Damit ist sicher, dass sie "objektiv" sündigen, das heißt ihr persönliches Gewissen und damit ihr persönliches Schicksal und die Tragik, die sie zu diesem Ehebruch geführt haben, ist für die Kirche unbedeutend. Sie dürfen so unter anderem nicht die Kommunion empfangen und sind von vielen anderen Dingen in der Kirche ausgeschlossen. Sie sollen sich deshalb auch nicht in der Kirche engagieren (Pfarrgemeinderat, Gruppenmutter zur Vorbereitung der Erstkommunion, in der Kirche vorlesen) und aktiv ihren Glauben wirklich leben. Tröstlich heißt es in dem Schreiben von Kardinal Ratzinger: "Die Kirche bemüht sich um ihre pastorale Begleitung und lädt sie ein, am kirchlichen Leben innerhalb der Grenzen teilzunehmen, in denen dies mit den Voraussetzungen des göttlichen Rechts vereinbar ist, über welche die Kirche keinerlei Dispensgewalt besitzt." Es ist also laut dem heutigen Papst nicht die Kirche, sondern Gott, der weiß was Recht und Wahrheit ist. Die Kirche ist nur diejenige, die die Wahrheit (er)kennt! In dem etwa 5 Seiten langen Schreiben fällt kein einziges Mal das Wort "Jesus". Was würde Jesus wohl heute dazu sagen?