Betlehem, Volkszählung und das Wirtschaftswachstum



Von der Mehrheit der Politiker und Unternehmer wird uns glauben gemacht, dass alles vom Wirtschaftswachstum abhinge: Wohlstand, Arbeitsplätze usw. Keiner sagt es, aber jeder meint es: die Wirtschaft muss wachsen, wachsen, wachsen - der Weg ist das Ziel... das Wachsen selbst ist das Ziel; es gibt kein festgelegtes Endziel. Vor mehr als 30 Jahren wurde bereits eine gute Zukunft vorhergesagt, nämlich, dass wir aufgrund des technischen Fortschritts weniger zu arbeiten haben. Und es ist auch tatsächlich so geschehen: Wir haben mehr Freizeit und weniger Arbeit. Das Problem ist, dass die Arbeit ungerecht verteilt ist, die einen haben einen Arbeitsplatz, die anderen sind ohne Arbeit - arbeitslos. Die einen sagen, diejenigen, die arbeiten, müssen noch mehr arbeiten, damit die Wirtschaft wachse, dann gebe es auch Arbeit für die Arbeitslosen. Die anderen sagen, weniger arbeiten, damit die Arbeitslosen etwas von dem Kuchen bekommen.
Einige Politiker haben jetzt einen neuen Wachstumsmotor entdeckt. Die Deutschen müssen mehr Kinder bekommen, damit die Wirtschaft dauerhaft wächst. Das mag für den, der den Glauben an das Wirtschaftswachstum hat, durchaus richtig sein. Und wie bringt man die 20- und 30-Jährigen dazu, mehr Kinder zu kriegen? Als Antworten haben da die Wachstumsgläubigen: mehr Kindergeld, mehr Kinderbetreuung. Dahinter steht der Glauben, die Deutschen haben kein Geld für Kinder oder keine Zeit für Kinder. Das sind sicherlich wirklich Gründe. Aber warum ist das so? Wo wird uns heute vermittelt, dass Kinder haben schön ist, dass Familie eine "tolle Freizeitbeschäftigung" ist? In der Schule? in den Medien? In der Werbung? In unserem alltäglichen Leben in Großmehring? Wenn einem das Leben lebenswert ist und Sinn machen soll, dann wird es auch für viele Menschen Sinn machen, Kinder zu bekommen. Geld und Zeit werden dann zweitrangig sein.

Schlagzeilen aus dem Wirtschaftsteil des Donaukurier vom 25.11.2003: Geht es der Wirtschaft wirklich so schlecht?

Wenn einem das Leben lebenswert ist und Sinn machen soll, dann kann er auch den Glauben an das Wirtschaftswachstum hinterfragen. Wem dient es? Wem helfen gewisse Wachstumsmotoren (Steuerreform, Rentenform, Arbeitszeitverlängerung, -verkürzung)? Denen, die Arbeit haben oder den Arbeitslosen, den Arbeitnehmern oder den Unternehmern? Wer sind die Gewinner? Wir Deutschen, EU'ler, Industriestaaten oder die armen Menschen, die Länder, die immer ärmer werden? Wer profitiert vom Wirtschaftswachstum, die Unternehmer, die Aktionäre, die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen, die Menschen in den armen Ländern? Geht es den Deutschen, die Arbeit haben, nicht schon gut genug? Wir können uns zum Beispiel leisten, ein Viertel unseres Nettogehaltes für Autos auszugeben. Haben wir denn nicht schon alles, was wir brauchen oder gar zu viel davon: So viel zum Essen, dass wir schon krank davon werden? Erkältungen, weil wir uns zu lange in überheizten Räumen aufhalten? Psychische Krankheiten, weil uns die Gesellschaft anderer Menschen fehlt oder weil wir in der Arbeit überfordert sind? Passen da Politikersprüche wie “Ich erwarte mir einiges aus der Embryonenforschung!”? Desinteressierte und unwissende Kinder, weil wir Erwachsene (Eltern, Lehrer, Großeltern, Politiker) als Vorbilder unfähig sind, sie in unsere Gesellschaft sinnvoll zu integrieren? Ganztagsbetreute Kinder sind nicht die Lösung. Kinder können nicht einfach betreut werden. Das leisten - ich bitte um Entschuldigung - Tierheime und leider auch manche Alten- und Pflegeheime. Kinder brauchen Erziehung und Liebe. Kommt bald der Schrei nach Kinderheimen, wo Kinder Tag und Nacht betreut werden? Was soll das Ziel sein: Der erste Platz für Deutschland in der nächsten Pisastudie, produktivere Arbeiter oder ein Nachwuchs der menschelt und seine Zukunft mit neuen Ideen in die eigene Hand nehmen kann, weil er in der Kindheit von den Eltern geliebt und ihm Vertrauen geschenkt wurde?
Wo stehen wir heute eigentlich? Warum wird uns so warm ums Herz, wenn wir an die Ereignisse in Bethlehem denken? Warum finden wir die Armut, die die Weihnachtsgeschichte umgibt, so romantisch oder nostalgisch? Sind wir seither wirklich weitergekommen? Hat uns die Technik geholfen? Hat uns die Botschaft von Jesus geholfen? Es gibt eigentlich eine einfache Antwort: Jeder Mensch darf - und muss - seinen Weg von Neuem von Anfang bis zum Ende gehen, er darf lernen, reifen, wachsen im Glauben und in der Liebe, er darf glücklich sein, leiden an der Ungerechtigkeit, kämpfen für die Armen und Verlierer - egal ob er damals lebte, heute oder zu einer Zeit, in der es andere Probleme geben wird als damals und heute.

Aus dem Lukasevangelium, Kapitel 2

Zum Schluss darf ich noch Worte aus dem sehr lesenswerten Buch "Der Prophet" von Khalil Gibran anführen. So mag es vielleicht auch Maria mit Jesus oder auch den ein oder anderen Eltern mit ihren Kindern ergangen sein:

Eure Kinder, sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Und, obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben eigene Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen. Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern. Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden. Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.

Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein; denn so wie er den Pfeil liebt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.

Peter Ihrler
Der Webmaster
Dezember 2003


Quelle: Publik Forum; Nr. 22 November 2003